30.04.2025

Taiwan Today

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Si vis pacem, para bellum

01.05.2001
Die Forschung und Entwicklung neuer Waffensysteme wie der Hsiungfeng-Rakete kostet viel Zeit und Geld.

"Was bedeutet 'IDF' eigentlich?" lautet in Taiwan eine scherzhafte Rätselfrage. Die Pointe lautet "I don't fly", zu Deutsch "ich fliege nicht". In Wirklichkeit steht IDF natürlich für "Indigenous Defense Fighter", also wörtlich "Einheimischer Verteidigungskämpfer", ein im Inland gebautes Kampfflugzeug. Immerhin illustriert der Witz eine gewisse Skepsis an der Zuverlässigkeit von Taiwans Landesverteidigungsprogramm. Seit die USA im Jahre 1979 unter ihrem damaligen Präsidenten Jimmy Carter die diplomatischen Beziehungen mit der Republik China abbrachen und statt dessen einen Botschafter nach Peking schickten, gab es auf der Insel immer wieder reichlich Grund zur Nervosität. "Das internationale Klima hat sich geändert", analysiert James Mao, Leiter des Exekutivbüros der Aerospacial Industrial Development Corporation (AIDC). "Der Erwerb von Flugzeugen in den USA wurde immer schwieriger, besonders von Kampfjets."

1981 begann die staatlich geförderte AIDC mit Hilfe amerikanischer Berater, in eigener Regie Flugzeuge zu entwickeln. Zuerst konzentrierte man sich auf die Forschung und Entwicklung von Flugzeugen, die nicht für Gefechtssituationen gedacht waren, etwa Maschinen für das Pilotentraining, Transportflugzeuge und Hubschrauber. 1988 wurde die erste Reihe von IDFs vorgestellt, und bis Ende 1999 waren bereits 130 Jets aus der Fertigungshalle gerollt.

Ein anderes im Inland entwickeltes Waffensystem ist die Hsiungfeng II-Rakete, die bei jeder Witterung gegen Schiffe eingesetzt werden kann. "Taiwans Raketentechnologie ist weit fortgeschritten", behauptet Keven Cheng, Manager der taiwanischen Militärzeitschrift Defense International(全球防衛雜誌) . "Nur wenige Länder können Langstreckenraketen herstellen, aber die Republik China gehört dazu." Das Chungshan-Institut für Wissenschaft und Technik ( Chung Shan Institute of Science and Technology, CSIST) des Verteidigungsministeriums war bei der Forschung und Entwicklung der "Hsiungfeng"-Rakete ebenso hilfreich wie bei anderen Raketen, etwa der Boden-Luft-Rakete "Sky Bow II SAM" oder der Luft-Luft-Rakete "Sky Sword II AAM". Das 1969 im nordtaiwanischen Taoyuan gegründete CSIST beschäftigt derzeit 3800 Wissenschaftler und 4600 Techniker.

Trotz der Ausgaben in Milliardenhöhe und der Jahre, die in die Forschung und Entwicklung von Rüstungstechnologie investiert wurden, ist Taiwan immer noch sehr von Waffenkäufen im Ausland abhängig. Laut einem Anfang 2001 vom Kontroll-Yuan (der obersten Aufsichtsbehörde der Regierung) veröffentlichten Bericht betrugen die Ausgaben für im Inland entwickelte Waffensysteme zwischen 1991 und 1993 sowie zwischen 1996 und 1997 nicht mehr als 20 Prozent des Waffeneinkaufs-Etats. (1994 und 1995 wurde nur verhältnismäßig wenig Geld für Waffeneinkäufe im Ausland ausgegeben.) In dem Bericht wurde außerdem erwähnt, dass Taiwan in den letzten zehn Jahren jährlich im Schnitt 8,4 Milliarden US$ für die Landesverteidigung ausgab, davon 3,1 Milliarden für Waffenkäufe. Die Generaldirektion für Budget, Rechnungswesen und Statistik des Regierungskabinetts gab unterdessen bekannt, dass Taiwan zwischen 1994 und 1998 Waffen im Wert von 13,3 Milliarden US$ importierte, davon Rüstungsgüter für 8,1 Milliarden aus den USA und für 5,1 Milliarden aus Frankreich.

Wegen der diplomatischen Isolation hat Taiwan nicht viele Möglichkeiten beim Einkauf von Defensivwaffen im Ausland und muss normalerweise das nehmen, was gerade im Angebot ist, oft zu ungünstigen Preisen. Nur wenige Länder wollen das Risiko eingehen, sich durch Waffenverkäufe an Taiwan Pekings Zorn zuzuziehen. Eine seltene Ausnahme war der Kauf zweier U-Boote von den Niederlanden Ende der achtziger Jahre.

Keven Cheng glaubt, dass auch Frankreich wohl keine weiteren Rüstungsgeschäfte mehr mit Taiwan tätigen wird, nachdem 1998 die letzten von sechzig Kampfflugzeugen des Typs Mirage 2000-5 geliefert worden waren. Nach Chengs Ansicht war das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens ( Tiananmen天安門) in Peking am 4. Juni 1989 ein Wendepunkt in den Beziehungen zwischen Frankreich und Festlandchina. Paris verkaufte Taipeh die Mirage-Flugzeuge zum Ausdruck des Missfallens über das Gemetzel. "Für jedes Land stehen die eigenen Interessen immer an erster Stelle, und auf lange Sicht ist das Profitpotenzial auf dem riesigen festlandchinesischen Markt sicher größer als in Taiwan", konzediert Cheng.

Selbst die derzeit letzte verbliebene Supermacht der Welt kann nicht einfach Waffen an die Republik China verhökern, ohne die möglichen Reaktionen der chinesischen Kommunisten abzuwägen. Gerade in jüngster Zeit haben sich indes die Anzeichen gemehrt, dass die Bush-Administration gegenüber der VR China eine härtere Gangart einlegt als die Clinton -Administration, doch Cheng bleibt skeptisch. " Die Beziehungen zwischen den USA und Festlandchina sind sehr kompliziert, und die Lage kann sich immer schnell ändern", sinniert er. "Denken Sie mal daran, wie kritisch Ronald Reagan vor seiner Wahl zum 40. US-Präsidenten China gegenüber war, und wie freundlich Taiwan gegenüber. Nach seinem Einzug ins Weiße Haus änderte sich das tiefgreifend, also sollte man von Washington nicht zu viel erwarten."

Welche Sympathien die USA für Taiwan auch haben mögen, der Rahmen für ihre Handlungsfreiheit ist durch den 1979 in Washington verabschiedeten Taiwan Relations Act und das im August 1982 in Peking unterzeichnete Gemeinsame Kommuniqué zwischen den USA und der VR China definiert. Der Taiwan Relations Act beschränkt alle Rüstungsverkäufe nach Taiwan auf Defensivwaffen, und das Kommuniqué schränkt Qualität und Quantität der Waffenverkäufe noch weiter ein. Wong Ming-hsien, Direktor des Graduierteninstituts für Internationale Angelegenheiten und Strategische Studien an der Tamkang University, macht darauf aufmerksam, dass die Republik China aufgrund der Weigerung Washingtons, Schlüsseltechnologie zu liefern, von den USA nur unvollständige oder ausrangierte Waffen kaufen konnte. Sowohl Wong als auch Cheng glauben, dass die Republik China bei Waffengeschäften mehr als den üblichen Marktpreis bezahlen muss. "Wer Waffen an Taiwan verkaufen will, verlangt wahrscheinlich einen höheren Preis, um damit Verluste durch entgangene Geschäfte mit Festlandchina auszugleichen", vermutet Cheng.

Si vis pacem, para bellum

Taiwans Militärs sind sehr stolz auf das im Inland entwickelte IDF-Kampfflugzeug, hoffen aber auch, vom Festland nicht zum Einsatz ihres Arsenals gezwungen zu werden.

Wieso verlässt Taiwan sich angesichts solcher Benachteiligung dennoch so sehr auf ausländische Waffen? Die Hauptgründe dafür sind Zeit und Geld. Die Investitionskosten für die Entwicklung hochmoderner Waffensysteme sind astronomisch. "Taiwan nähert sich einer kritischen Phase", warnt Wong. "Wir können es uns einfach nicht leisten, für die Entwicklung neuer Waffen Jahre ins Land ziehen zu lassen." Während die VR China unentwegt massiv aufrüstet, muss die Republik China ihre Verteidigungsfähigkeit auf die praktischste und wirksamste Weise stärken. Das erklärt vielleicht, wieso Taiwan in den USA Patriot-Raketen einkauft und gleichzeitig weiterhin eigene Raketen entwickelt. "Die Patriot-Raketen kamen im Golfkrieg zur Anwendung, aber einen entsprechenden Test hat es für unsere ,Sky Bow'-Raketen nie gegeben, daher wissen wir nicht, wie wirksam sie sind", fügt Wong hinzu.

Zwar will die Republik China sich bei der Entwicklung von Waffen mehr auf sich selbst verlassen, aber sobald sich eine Gelegenheit ergibt, werden lokale Interessen dem Erwerb ausländischer Waffen geopfert. Die AIDC beispielsweise wollte ursprünglich 250 IDFs bauen, aber als die US-amerikanische Regierung unter George Bush senior 1992 den Verkauf von 150 F-16-Kampfflugzeugen an Taiwan bewilligte, wurde die geplante Zahl der IDFs zur Kompensierung der Kosten für die US -Importflugzeuge fast halbiert. Diese Entscheidung hatte dann wiederum natürlich negative Auswirkungen auf die Motivation bei der AIDC, wo eine Menge Leute entlassen werden mussten. "Das war schade", kommentiert Wong. " Andererseits, wenn wir die Gelegenheit nicht beim Schopfe gepackt hätten, dann würden wir vielleicht nie eine zweite Chance bekommen haben. Man konnte ja nicht wissen, ob zukünftige US-Regierungen ein ähnliches Angebot machen würden."

Weil der Schlüssel für ein höheres Technologie-Knowhow in den USA liegt, sind die taiwanischen Wissenschaftler auf einer ständigen Aufholjagd, werden aber immer wieder wegen der US-Politik zu Rüstungstechnologietransfer ins Abseits manövriert. "Die Vereinigten Staaten kennen das Niveau von Taiwans Verteidigungstechnologie ganz genau", verrät Wong. "Jedesmal wenn sie den Eindruck haben, dass wir kurz vor einem Durchbruch stehen, dann bieten sie uns betreffende Technologie zum Verkauf an, was unsere Wissenschaftler frustriert." Nach Meinung von Keven Cheng übt Washington außerdem wesentlichen Einfluss auf Taiwans Verteidigungsentwicklung aus. "Verbesserungen bei Forschung und Entwicklung sind für Taiwan nicht einfach", stellt er fest. "Wir sind in sehr vielen Dingen von den USA abhängig. Unsere Politik muss in vielen Bereichen nach ihrer Politik ausgerichtet werden."

Eine Strategie der Regierung zur Förderung der Verteidigungsentwicklung ist Technologieaustausch mit dem privaten Sektor. Seit 1995 gibt das CSIST einen Teil seiner Technologie an private Unternehmen weiter und hofft, dass diese Errungenschaften bei Forschung und Entwicklung die Wirtschaft der Insel anregen können. Liu Ching-ling, Vizepräsident des CSIST, erwartet wiederum von Beiträgen des privaten Sektors Nutzen für Taiwans Landesverteidigung. "Gegenwärtig ist das Verhältnis noch eine Einbahnstraße", charakterisiert er. "Wir hoffen aber, dass es eines Tages zwischen dem Militär und dem privaten Sektor Austausch in beide Richtungen geben wird."

Bestimmte Sorgen über das taiwanische Verteidigungssystem haben jedoch nichts mit der Qualität der Ausrüstung oder der Einrichtungen zu tun. Sowohl Wong Ming-hsien als auch Keven Cheng sprechen das Problem der Abwanderung qualifizierten Personals -- besonders von Piloten -- an. "Die Luftwaffe hat sich bei der Bewaffnung grundlegend verändert", weiß Cheng und denkt dabei an die neuen Kampfflugzeuge IDF, F-16 und Mirage. Die komplizierten Tagespflichten der Piloten umfassen viel Routine und Wiederholungen, und wegen attraktiver Abwerbe-Angebote privater Fluggesellschaften nimmt so mancher Pilot seinen Abschied aus den Streitkräften. "Das ist ein ernsthaftes Problem", meint Cheng. "Es ist auch in gewissem Sinne Verschwendung, denn die Pilotenausbildung kostet viel Geld."

Mit solchen Problemen hat nicht nur die Luftwaffe zu kämpfen. "Im Zuge der Pluralisierung der Gesellschaft wollen immer weniger junge Männer Berufsoffiziere werden", klagt Wong. Cheng stimmt ihm zu: "Warum ist denn die US-Armee so stark? Weil sie gut ausgebildete Offiziere haben, die zu einem langjährigen Dienst in den Streitkräften bereit sind."

Zur Lösung des Problems hat das Verteidigungsministerium versucht, die Anwerbestrategie durch flexiblere Optionen für Offiziere und Soldaten zu verbessern. Ab 1996 wurden junge Leute mit besonderen Fähigkeiten aufgefordert, sich für mindestens drei Jahre bei der Armee zu verpflichten. Dafür sollten sie sich im Gegensatz zu normalen Wehrpflichtigen ihren Stationierungsort aussuchen dürfen.

Kann Taiwan sich bei so vielen Beschränkungen wirksam selbst verteidigen und eine ernst zu nehmende militärische Streitmacht entwickeln? Wong Ming-hsien, Keven Cheng und das Verteidigungsministerium bejahen diese Frage rundherum mit Ja. "Taiwans nationales Verteidigungssystem könnte erfolgreich jeden Angriff des chinesischen Festlandes abwehren", versichert Wong. "Schon das Zögern, einen Krieg zu beginnen, ist ein kleiner Sieg für unser Militärpotenzial."

Ein anderer Faktor in der Gleichung sind die USA. "Das chinesische Festland ist gegenwärtig in der Lage, einen Krieg gegen Taiwan vom Zaun zu brechen", überlegt Wong. "Jede Modernisierung ihres Waffenarsenals muss also als Signal an die USA und Japan verstanden werden. Die VR China muss auch in Erwägung ziehen, wie sie auf eine mögliche US-Intervention bei einem Krieg in der Taiwanstraße reagieren würde."

Die jüngsten Anstrengungen des Festlandes zur Modernisierung seiner Luftwaffe und Marine sind Anzeichen dafür, dass es an Stoßkraft gewinnt, aber noch immer ist nach Chengs Überzeugung das festlandchinesische Militär relativ rückständig, besonders im Vergleich mit den US-Streitkräften. "Die wirklichen Gegner für das chinesische Festland sind die USA und Japan", interpretiert er. "Zur Zeit stellt das Festland aber nur eine geringe Gefahr für Amerika dar."

Das chinesische Festland ist laut Cheng aber klug genug, nicht alle Anstrengungen auf die vollständige Ersetzung traditioneller Waffenarsenale zu konzentrieren, sondern es werden auch bestimmte hochklassige Waffensysteme wie Lenkraketen entwickelt und produziert. Dieser Punkt bereitet den USA solche Sorge, dass sie trotz der damit verbundenen Kosten, der problematischen Technologie und der Neigung des Auslandes zu Protesten weiter an ihrem Raketen-Abwehrschirm arbeiten.

"Taiwans größte Schwäche ist, dass wir uns nicht angemessen gegen moderne Lenkraketen verteidigen können", räumt Cheng ein. "Deswegen müssen wir einen großen Teil der Mittel für Forschung und Entwicklung in Raketenabwehr investieren." Das sieht Liu Ching-ling vom CSIST genauso: " Moderne Luftkriegs-Waffen wie Kampfjets, Marschflugkörper und unbemannte Flugobjekte stellen eine große Bedrohung für uns dar, weil ihr Einsatz so schwer zu entdecken ist. Die VR China wird die Entwicklung solcher Waffen mit Sicherheit vorantreiben, und darauf müssen wir uns vorbereiten."

Bis jetzt hat Festlandchinas Strategie, in Russland Waffen zu kaufen und dann in großer Zahl Imitate für das eigene Arsenal herzustellen, nach Wongs Worten gut funktioniert. Russland ist bei der Weitergabe von Waffentechnologie ans benachbarte China recht großzügig, weswegen Washington auf glühenden Kohlen sitzt, auch wenn nach Ansicht von Beobachtern das von der ehemaligen Sowjetunion gebaute Kriegsgerät nicht gerade als besonders zuverlässig galt.

Wie auch immer, die Vereinigten Staaten werden höchstwahrscheinlich weiterhin modernste Waffen entwickeln, um so ihre militärische Überlegenheit in der Region zu gewährleisten, und voraussichtlich wird Washington Taiwan bei zunehmender Bedrohung durch die VR China mit mehr und besseren Waffen versorgen. Doch diese aktive Vorbereitung auf einen Ernstfall unterstreicht nur die gespannte Atmosphäre in der Taiwanstraße, und für dieses Problem gibt es keine einfache Lösung. Da bedarf es eigentlich keiner Erwähnung mehr, dass Taiwan, das chinesische Festland und die USA mit einer Vermeidung eines bewaffneten Konfliktes besser dran wären und nach anderen Gesprächskanälen suchen sollten. Oder um es mit Winston Churchills Worten zu sagen -- "to jaw-jaw is always better than to war-war", zu Deutsch ungefähr: "Labern ist immer noch besser als ballern."

(Deutsch von Tilman Aretz)

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